
Die Geschichte mit dem M113 - Traumabewältigung
Wehrdienst in den 70ern, Lippstadt-Lipperbruch, als Fernmelder lerne ich das Tastfunken. Schicke Uniform, die gelbe Paspelierung macht was her, dazu haben wir schwarze Schlaghosen getragen - war nicht erlaubt, sah aber ungemein gut aus ;-) Für mich wird der "Barras" zu einer wichtigen Zeit. Als einziger Nicht-Abiturient finde ich mich bei den Funkern wieder und dort in einer Gruppe von sehr kritischen jungen Männern. Statt Besäufnis (ok, war manchmal auch angesagt) gibt´s Kultur pur: Rock-Konzerte stehen auf der Tagesordnung, so lerne ich die Musik von Pink-Floyd, Deep Purple und Jethro Tull kennen. Unsere Deutsch-LK-Absolventen organisieren Lesungen - Brecht, Böll, Lenz - wir besuchen Veranstaltungen der Volkshochschule, ich lerne völlig neue Sichtweisen kennen, politische Diskussionen mit unseren Vorgesetzten sind an der Tagesordnung und der Spiegel wird meine Lieblingslektüre - ein echtes Kontrastprogramm. Bundesverteidigungsminister Helmut Schmidt ("Innere Führung") erlaubt uns lange Haare - und der Spieß regt sich beim Morgenappell auf: "Sie müssen ja zum Scheißen die Haare heben" - wie oft haben wir uns eine Extra-Wache eingehandelt, gerne auch am Wochenende! Dass ich nach einem halben Jahr den Antrag auf Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer stelle - Folge der Diskussionen und wichtiges Ereignis beim Prozess meiner Menschwerdung...

Tanken "im Feld" - ein besonderer Spaß
Als Fahrer und Tast-Funker bin ich für den M113 Sieben-Null-Drei verantwortlich, einen zum Funkpanzer umgebauten Mannschaftstransportwagen MTW. Dieses Fahrzeug ist die eierlegende Wollmilchsau der Armeen dieser Welt. Transportvehikel auf dem Schlachtfeld, Feuerleitpanzer, Raketenjadg- und Flammenwerferpanzer, Schützenpanzer - er konnte alles. Alles ein bisschen, aber nix wirklich gut. Er war sogar amphibisch, konnte durch die Luft mit der guten alten C-130 anreisen (Bundeswehr-Sprech: luftverlastbar) und mit dem Fallschirm abgeworfen werden. Und wenn die Schwingfeuerheizung mal funktionierte, konnte man es sogar im Winter im Innenraum aushalten.

Sieben-Null-Drei in Timmerbruch auf der Ladestraße
Zum Modell: war eine üble Bastelei. Ich habe die beiden geschlossenen Luken einfach aufgebohrt und zwei kreisförmige Kunststoff-Teile aus der Bastelkiste dahinter geklebt als geöffnete Luken. Panzerfahrer-Figuren gibt´s ja von mehreren Firmen, der M113 selbst ist von Schuco und die neue Nummer stammt von Artitec (Turmnummern).

Die Einzelteile zum Umnummern und Bemannen, der M113 - aus 323 wird 703
Wo ich anfangs noch keine Idee hatte: die heruntergebundenen Antennen, wie kann man die sinnvoll nachbilden? Dünne Kupferdrähte aus Litzen wären durchmessermäßig ok, aber die sind nicht stabil genug. Da fehlte es lange am zündendenden Gedanken, denn die Antennen oben wirken mir einfach zu dick. Hilfe kam dann schnell aus dem HO-Modellbahnforum - sehr guter Voschlag von dort (DANKE Tom): Gitarrensaiten! Da gibt es viele verschiedene Dicken und die 0,3mm Saiten fand ich optimal, ein guter Kompromiss zwischen Handhabbarkeit und optischer Dicke. DENN: so dick wie auf dem Foto wirken sie auf der Modellbahn gar nicht. Auch der Glanz fällt dort gar nicht auf, der kommt auf dem Foto durch die 2.000-Watt-Sonne.

M113 703 mit den neuen "Gitarren-Antennen"
Die hochglänzenden Saiten habe ich leicht abgewinkelt, denn inzwischen ist auch klar, dass die Ruten durch das Abbinden keine Biegung erhalten haben, sie wurden anscheinend unten durch ein Gelenk zum Fahren heruntergebogen. So richtig kann ich mich daran nicht mehr erinnern, aber die wenigen existierenden Fotos von einem M113 mit heruntergebundenen Antennen zeigen, dass die Ruten gerade blieben. Ob ich die Leine zur Sicherung der heruntergebundenen Antennen auch noch nachbilde - mal sehen.

Danach habe ich die Abschnitte eine Nacht in Essig-Essenz "eingelegt". Natürlich vorher leicht angerauht und gut entfettet. Da war der Glanz dann weitgehend verschwunden. Nur eben auf den gut ausgeleuchteten Fotos - siehe oben - glänzt es noch. Wie ich schon mehrfach geschrieben habe: Fotos sind da sehr kritisch, auf der Anlage nimmt man keinen Glanz wahr. Und ich baue meine Anlage nicht für Fotos, ich baue sie, damit meine Züge in einer halbwegs realistischen Umgebung fahren können. Aber das habe ich ja schon mehrfach ausgeführt. Also: der Fotobeweis ist für mich nicht maßgebend! Doch nun zurück zum realen M113...

...denn der reale Sieben-Null-Drei ist eine echte Scheißkarre. Batterieprobleme von Beginn an. Er konnte praktisch nur mit Netzanschluss fahren. Als ich mal krank war und mein Vertreter nicht daran dachte, nach dem Wochenende am Ladegerät die Stopfen auf die Zellen zu drehen, explodierten die Batteriegase. Das ganze linke Heck platzte auf, der "Panzer" - Battle-Taxi - war ja aus Aluminium gefertigt. Das Ende von Sieben-Null-Drei. Zum Glück wurde niemand verletzt. Trotzdem habe ich ihn gerne gefahren, meinen M113. Mit 200PS zwar etwas untermotorisiert, machte es im Gelände trotzdem einen Riesenspaß. Technik pur. Schon geil, so eine Durchfahrt durch ein Wasserloch, die Bugwelle vorn höher als der Panzer. Wer Gas wegnahm, dem schwappte das Wasser in die Luken. Immer eine Mutprobe, man wusste ja nie, wie tief so ein Loch tatsächlich war. Dass der M113 in Diensten der US-Army auf dem Pressefoto des Jahres 1966 zu sehen war, in Vietnam, habe ich irgendwann später bei einer Protestveranstaltung gegen den Vietnam-Krieg entdeckt. Der Vietcong nannte ihn den Grünen Drachen. Am Heck hatte man einen Menschen angebunden, der gerade zu Tode geschleift wurde. Da war´s dann vorbei mit den schönen Erinnerungen an Sieben-Null-Drei. Fortan war es ein anderes Bild, das sich im Gehirn breit machte beim Gedanken an den MTW.

Auch beim Bund mit "Matte": Mögen Pferde eigentlich Pils? Ja, sie mögen, obwohl es Herforder ist!
Und er hat mich einmal sogar beinahe umgebracht, der Sieben-Null-Drei! Nachtfahrt in einem Manöver, irgendwo zwischen Anröchte und Rüthen, Linkskurve. Um diese zu nehmen, muss die linke Kette etwas abgebremst werden. So werden Kettenfahrzeuge ja gelenkt, durch gezieltes Bremsen einer Kette. Als ich den linken Bremshebel anziehe, spüre ich keinen Widerstand. Er lässt sich bis zum Anschlag bewegen: Das Bremsband ist gerissen! Die linke Bremse ist defekt, damit lässt sich das Fahrzeug nicht mehr lenken - und auch nicht mehr bremsen! Wir rasen mit 60km/h auf den rechten Straßenrand zu, Bäume, dahinter Dunkelheit. Die mit dem roten Punkt markierten Hebel sind Lenkung und Bremse zugleich. Die Wendebremse habe ich mit einem grünen Punkt markiert und den Schaltknauf des Getriebes mit einem blauen Punkt.

M113-Cokpit mit Wendebremse (grün) , Lenkhebel (rot) und Schaltknauf (blau) - Wikidedia: SonazCCBY2.5
Klar hat der M113 ein zweites Bremssystem, Scheibenbremsen, der deutschen Straßenverkehrsordnung geschuldet. Sogar jedes Fahrrad braucht zwei unabhängige Bremssysteme. Aber was lernt der M113-Fahrer von Beginn an: Finger weg! Die Scheibenbremsen kennen nur zwei Zustände, los und fest. Sie sind bestens geeignet, den Panzer "um die Kette" drehen zu lassen, daher werden sie auch als Wendebremse bezeichnet (die Hebel mit dem grünen Punkt oben im Foto). Bei voller Fahrt, so alle Ausbilder, blockiert schlagartig die Kette. Kettenabwurf ist noch das kleinste Übel, es kann zum Überschlagen des Fahrzeugs führen, tödlich für die Besatzung, da Kommandant und Fahrer ja oben aus dem Panzer herausschauen. Zudem ist der M113 berüchtigt dafür, schnell in Brand zu geraten, wenn er auf dem Deckel liegt. Fluchtmöglichkeiten gibt´s dann keine, denn der Panzer wird über die Luken und eine Klappe an der Oberseite verlassen. Die große hydraulische Rampe am Heck wird sich in einem solchen Fall nicht mehr bedienen lassen und die schwere Hecktür müsste hochgedrückt werden - keine Chance!

Wenn das an einer solchen Stelle passiert wäre - nicht auszudenken...
Da der rechte Straßenrand und mit ihm ein Baum auf mich zurast, bremse ich leicht rechts, komme so knapp am Baum vorbei und der 12-Tonnen-Koloss schießt in die Böschung und einen Abhang hinunter. In die Dunkelheit. Ungebremst. Der Schalthebel (blauer Punkt auf dem Foto weiter oben) ist schon vorn, trotzdem schaltet die Automatik nicht herunter, das würde uns bremsen. Ich hoffe auf die abschwächende Wirkung des Wandlers, also noch ein kräftiger Stoß an den Hebel, der Rückwärtsgang springt zum Glück ein und mit hässlichem metallischen Gekreisch und Geschepper kommt der M113 zum Stehen. Der Kommandant hat sich den Kopf angeschlagen, die Lippe blutet. Ich konnte ihn nicht warnen, es ging alles zu schnell. Wir steigen ab - Riesenglück gehabt. Nicht auszudenken, wenn das an einer anderen Stelle passiert wäre, etwa mitten in einem Ort, mitten im Verkehr oder auf einer Brücke oder vor einem Bahnübergang...

Manöverzug mit V200 und M113 (erster Wagen) auf der Modellbundesbahn in Brakel
Funkbereitschaft herstellen, Notruf absetzen - wir sind ja Funker. Der Oberfeld rast im Geländewagen heran, ist zuerst stinksauer. Doch als er sich selbst auf den Fahrerplatz setzt und am linken Bremshebel zieht, schaut er mich nur lange an, klopft mir dann auf die Schulter "Gut gemacht, Schulte, das hätte ins Auge gehen können". Zwei Monate brauchen die Kameraden vom InstZug, um den Schaden an Getriebe und Wandler zu beseitigen. Ich bin jeden Tag dabei, geruhsamer Dienst, lerne viel über die Technik von Kettenfahrzeugen, darf sogar mal einen Leo im Gelände fahren.

703 rangiert auf der Ladestraße - hinten Begleitfahrzeug
Zwischendurch Vernehmungen, ich habe ja immerhin Volkseigentum schwer beschädigt. Warum ich die Scheibenbremse nicht benutzt habe und in welcher Handreichung denn stehe, dass das gefährlich sei? Natürlich steht das nirgendwo, schriftlich findet man dazu nichts, denn das hätte den M113 die Straßenzulassung gekostet. Ich rege an, dass doch ganz einfach mal auf dem Truppenübungsplatz zu testen, bei moderater Geschwindigkeit. Das ist den Herren dann aber doch zu gewagt, so verläuft alles im Sande und ich werde belobigt für umsichtiges Handeln und gute Reaktion. Natürlich nur mündlich...

Anmerkung: Der M113 konnte überhaupt nur durch zahlreiche Ausnahmeregelungen seine Straßenzulassung bekommen und auch behalten. Erst ab der Version A3 gab es dann endlich ein Notbremssystem, bei dem durch zusätzliche Bremsscheiben hinter dem Lenkgetriebe ein schneller Stopp erreicht werden konnte. Das Fahrzeug stieg dann auch hoch und stand dann praktisch auf dem Stück Kette zwischen Antriebsrad und erstem Laufrad. Abenteuerlich und immer noch gefährlich, aber das hätte damals geholfen. Hätte hätte Panzerkette - während ich das hier schreibe, merke ich, dass mein Puls bei der Erinnerung an diese Situation tatsächlich immer noch hochgeht. Das hätte böse, sehr böse ins Auge gehen können, damals im Lipperland. Es war die gefährlichste Situation in meinem bisherigen Leben, darum wollte ich das Fahrzeug unbedingt auf der Anlage haben, vielleicht eine Art der Traumabewältigung - nach mehr als fünfzig Jahren...
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