Frühe Grundsteinlegung für die Katastrophe

Aufgewachsen bin ich im Dortmunder Westend, in der Adlerstraße 71a! Über dieses Viertel gibt es sogar einen Song: "Alles was ich liebe und hasse heißt Adlerstraße" - Peter Freiberg (Cochise, Conditors) hat das Viertel besungen und ihm musikalisch ein Denkmal gesetzt: "keine feine Adresse, zuviel Gestank und große Fresse - für nette Leute nicht zu empfehl´n, Endstation für verlor´ne Seel´n" - so Freiberg. Er hat ein paar Häuser weiter gewohnt und singt vom Blick "auf die Fabrikdächer" - ich schreibe weiter unten über diese Fabrik. Gegen Peter habe ich mal einen Disk-Jokey-Wettbewerb verloren (das hieß damals noch Platten-Jokai - und wurde auch genau SO ausgesprochen!). Keine Schande, letztlich hat er später eine Karriere als Drehbuchautor, Radiomoderator, Sänger, Kabarettist und Schauspieler hingelegt, den Deutschen Fernsehpreis gewonnen - gegen ihn bin ich eben nur ein kleines Licht.


Die erste Eisenbahn - 1952 oder 1953 - und der Struwelpeter!

Aber zurück zur Adlerstraße: direkt nebenan, Falkenstraße, verlief die sechsgleisige Bahnstrecke in den Dortmunder Hauptbahnhof plus einem Gleis für die Brauereien. Dabei die Stammstrecke Dortmunds, die Köln-Mindener, sie war es, die den Startschuss für Dortmund als Eisenbahnstadt gab - heute einer der ganz großen Bahnknoten und bedeutender Zugbildungsbahnhof. Derzeit vergrößert hier Siemens das gigantische Instandhaltungswerk für den RXX, in der Erweiterung soll hier auch die neue ICE-Generation gewartet und repariert werden. Alles was Schienen hatte hieß bei uns Kindern "die Bahne" - unser Spielplatz. Über die Mauer (streng verboten) und dann in den Bunkern an der Böschung gespielt und manchmal bis unten ans Gleis gewagt. Nicht ungefährlich, aber das sieht man als Heranwachsender anders. Jedenfalls durften wir draußen spielen "bis die Laternen" angingen - und wir waren keine Minute früher "drinne". Direkter Nachbar war die Maschinenfabrik Hugo Miebach - die Fabrik aus dem Lied Adlerstraße. Die bekamen wöchentlich durch Eisenbahnwagen riesige Teile geliefert, hatten aber gar keinen Gleisanschluss! Da fuhren die dicken Kaelble Zugmaschinen mit dem Culemeyer-Straßenroller durch die enge Adlerstraße, immer großes Theater! Als ich älter wurde und das Fahrrad meinen Aktionsradius vergrößerte, sind wir ins Dortmunderfeld gefahren - verufene Gegend. Aber da wendeten die Schlepptenderlokomotiven über das Gleisdreieck und warteten auf Hp2 für die Rückfahrt zum Hauptbahnhof. Und wir haben so lange an der Lok ´rumgestanden, bis uns der Meister auf den Führerstand ließ. Das war spannend. Und da boomte - lange vor den Containern - der kombinierte Verkehr. Behältertragewagen wurden dort abgestellt, die Behälter umgeladen und in die Stadt gefahren, u.a. zu den Brauereien - viel los also.

Später sind wir dann den Hahnenmühlenweg Richtung Dorstfeld ´runtergefahren - SEHR verrufene Gegend - bis zum Ablaufberg. Die Ecke hieß damals Negerdorf, das böse N-Wort darf man heute gar nicht mehr schreiben ohne dass manche Menschen Schnappatmung bekommen. Die Gegend war EXTREM verrufen! Aber wenn man lange genug am Brückenstellwerk herumgelungert war, winkten die Beamten von oben und wir durften ´raufkommen. Noch mehr Spannung. So habe ich sie alle noch gesehen, die 01er und die 03er, 41, 43 und 44, die dicken 94er beim Rangieren und die 55, die 38er und die 78er, etwa vor den ersten Wendezügen nach Soest, natürlich die unermüdlichen 50er - eine echte Landplage.

Auf den Jumbos, den großen 43ern und 44ern, bin ich sogar mitgefahren, im Führerstand, später, ganz offiziell zum Fotografieren mit Genehmigung der Bundesbahndirektion Essen.


Auf der Rollbahn, 43 mit Erzzug ins Ruhrgebiet

Das war ein Erlebnis, Leerfahrt-Vorspann von Rheine nach Dortmund, langer Erzzug auf der "Rollbahn". Wahnsinn.

Während des Wehrdienstes habe ich eine Nachtfahrt auf dem Führerstand einer V200 erlebt, Rückfahrt im Ganzzug von einem Manöver, Hamburg bis Paderborn, die Panzer hinten drauf und während die Kameraden in den Uraltpersonenwagen sogar die Gepäcknetze nutzten um eine Mütze Schlaf zu ergattern, hatte ich vorn einen Logenplatz in der ersten Reihe. Ich habe den Lokführer einfach bei einem Halt gefragt - und der war froh über die Gesellschaft bei der einsamen Fahrt durch die Nacht. Das war ich meiner Vergangenheit schuldig, schließlich war ich als 14jähriger Vorsitzender (und einziges Mitglied) des "Pfiff-Clubs V200 hoch 1" - so etwas bleibt nicht in den Klamotten hängen, das prägt ;-)


Schon 1965 im Führerstand der V 200 - IVA München

Bleiben wir noch einen Moment in der Kindheit: für 20 Pfennig konnte man damals mit einer Bahnsteigkarte an die Gleise im Hauptbahnhof - da haben wir Tage verbracht. Morgens der Rheingold, 0912 Uhr war Abfahrt, dann der Gambrinus, Lokwechsel von E10 auf V200 - in Dortmund endete der Fahrdraht aus dem Süden. Es gab sooo viel zu sehen. Überall noch mit viel Dampf. Ergebnis dieser Eisenbahn-Jugend: das Erlebnis Bahn, die Geräuschkulisse eines anfahrenden Zuges, der unvergleichliche Geruchs-Cocktail aus Heißdampf, Öl und Kohlenfeuer, die seltsame Rhythmik einer anfahrenden Dreizylinder-Lok unter Volllast, das alles hat sich unauslöschlich in mir festgebrannt und jedes Wiedersehen - etwa mit dem Boot unterwegs in den Niederlanden an der Museumsbahn in Veendam - löst eine Milchstraße an Gefühlen und Erinnerungen bei mir aus. So kam es wie es kommen musste...


Abenteuer pur für zwanzig Pfennig - DO-Hbf

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