Denn da war doch noch was...
Natürlich gab es schon immer eine Modellbahn. Angefangen hat alles mit TRIX-Express, da hatte Vattern wohl eine große Kiste gebrauchtes Material gekauft. Sieben Weichen, eine Kreuzung und drei Lokomotiven, von denen eine nicht mehr richtig fuhr. Jede Menge Schienen - dieses wunderbare Drei-Leiter-Gleis auf dem herrlich ungetarnten pechschwarzen Bakelit-Bahndamm. Dazu ein Trafo und zwei Regler für die Wechselstromloks. Wenn am Samstag die großen Tische in der Backstube mit den teilweise noch beschädigten Vorkriegsfliesen sauber waren, kamen die Gleise aus dem Keller und bis Sonntag rollten statt der Brötchen die Güterzüge. Leider gibt es kaum Fotos, ein paar haben aber überlebt.
Kalle (vorn) mit Egon und Udo - geiler Haarschnitt und schon damals karriertes Hemd
Dann langsame Entwicklung, zunächst gab´s die neuen flachen Gleise, gleichzeitig der Umstieg von Wechsel- auf Gleichstrom und schließlich der Systemwechsel auf 2-Leiter-Gleichstrom - da war ich aber dem Grundschulalter längst entwachsen. Noch später kam dann Spur N, endlich lange Züge auf sanft geschwungenen Strecken, Ganzzüge, Vorspannfahrten - da wurden Eisenbahn-Träume wahr.
Immer noch Dreileiter - aber schon mit Tunnel, der typische Berg. Und mit V200!
Zumal inzwischen auch der theoretische Unterbau mitgewachsen war. Der aus Amerika eingeflogene Model-Railroader zeigte völlig andere Anlagen, zeigte lange Züge in irre realistischer Landschaft! Das fand sich dann auch in der sagenhaften MIBA-Anlagenfibel wieder. Tolle Zeichnungen von PitPeg, später die Skizzenbücher - sie öffneten die Augen für den Unterschied zwischen einer Spielbahn und einer Modellbahn. Zuletzt kam dann auch noch die Elektronik dazu! Aus externen Bauteilen wurden erste Zähler zusammengelötet, dann das legendäre Tischtennis-Spiel mit aufsehenerregender Grafik, den Balken am Bildschirmrand. Irre!
Dieses Interesse sorgte dafür, dass hier später die Loks mit selbstgebauter Phasenanschnittsteuerung und elektronischer Massesimulation über entsprechend dimensionierte RC-Glieder fuhren. Alles auf selbst geätzten Platinen und aus externen Bauteilen zusammengelötet, teilweise mit selbst entwickelten Schaltungen, also durchaus ernsthaft! Die Geräte unten habe ich beim Aufräumen in einer Kiste im Keller wiedergefunden, selbst erdacht und selbst gebaut! Damit habe ich logische Schaltungen entworfen und Platinen getestet. Bis ins Studium hinein hat mir die Modellbahnerei später bei den Laborpraktika einen Vorsprung verschafft. Schaltpläne lesen, Kurzschlüsse finden - das konnte ich doch schon als Teenager!
Selbstgebaute Netzteile und Testeinrichtungen für Platinen und logische Schaltungen - im Keller (wieder)gefunden
Überhaupt Literatur. Ich hatte irgendwann in den 70ern fast alle MIBA-Hefte im Regal, sogar vom ersten Jahrgang waren Einzelexemplare dabei. Später habe ich die Sammlung dann für einen Wahnsinnspreis verkaufen können. Stichwort verkaufen: damals habe ich auch Lokschilder gesammelt. Die konnte man für kleines Geld ganz legal bei den Ausbesserungswerken kaufen, Stück für Stück für fünf (5!) Mark. Als Jahre später der Platz knapp wurde, mussten sie verkauft werden. Zu diesem Zeitpunkt herrschte aber schon Endzeitstimmung und es wurden Liebhaberpreise für bestimmte Baureihen gezahlt! Das rief natürlich Diebe und Geschäftemacher auf den Plan und viele Jahre später gab es plötzlich Kontakt mit der Staatsmacht: Die Deutsche Bundesbahn, Staat im Staat mit eigener Polizei, stand plötzlich vor der Tür: "Hausdurchsuchung! Haben Sie noch ein Ferienhaus oder eine Zweitwohnung?" Auch der Wohnwagen wurde inspiziert. Vorwurf: Verkauf von gestohlenem Material - doch ich konnte für alle verkauften Schilder auch noch nach Jahren den legalen Erwerb nachweisen. Ein geordnetes Ablagesystem war schon immer meine Stärke!
So endeten die stolzen Dampfrösser - das tat weh
Das Ende der Dampflokära bedeutete aber nicht das Ende der Dampfloks. Sonderfahrten ins Bergische Land, an den Teutoburger Wald, durchs Sauerland - rings um das Ruhrgebiet gibt es jede Menge landschaftlich schöner Strecken, die für Sonderfahrten zur Verfügung standen. Und da ich inzwischen motorisiert war, gab es sogar Fahraufnahmen, hinten aus der geöffneten Klappe des alten R4 - DAS waren Zeiten...
Und ehrlich: ich habe diese Fahrten von der ersten bis zur letzten Minute genossen und bin mir immer der Tatsache bewusst gewesen, dass es so etwas nicht mehr lange geben wird. Diese Erlebnis, wenn eine solche Maschine mit Urgewalt einen Zug in Bewegung setzt, die Geräusche, die Rhythmik, der Geruch - es wird unwiederbringlich verloren gehen. Es ist wie mit der Musik, auch da habe ich eine Epoche miterleben können, die nie wiederkommen wird, die nichts mit dem zu tun hat, was sich heute auf dem Musiksektor abspielt. Es war eine geile Zeit!
Und das Eisenbahnvirus blieb immer in mir, hat irgendwie überwintert, hat alles überstanden, sogar die Jahrzehnte als begeisterter Skipper, auf Segel- und Motorbooten, zuletzt mit unseren Booten Tremonia und Tremonia 2.0. Ein Indiz für die Gefährlichkeit dieses Virus ist sicher die Tatsache gewesen, dass es immer dann, wenn ich mich in einer Bahnhofsbuchhandlung mit Lesestoff für eine Bahnfahrt versorgen musste, die aktuelle MIBA in die Auswahl schaffte. Selbst die jährliche Bahnfahrt zur boot nach Düsseldorf hat mir die MIBA verkürzt. Aber ich habe diese untrüglichen Anzeichen für die Dauerinfektion ignoriert, habe das Problem, das sich dahinter verbarg, nicht an mich herangelassen, habe es nicht sehen wollen!!! Ich hätte mich sonst sicher den anonymen Modellbahnern angeschlossen.
Tremonia 2.0 auf dem Stettiner Haff
Das Eisenbahn-Virus ist ungemein gefährlich, es gibt weder eine Impfung noch eine Herdenimmunität geschweige denn eine wie auch immer geartete Medizin. Wer zur vulnerablen Gruppe zählt, wird unweigerlich davon befallen und bleibt infiziert, sein Leben lang. Erst der Tod bringt die finale Erlösung. Und so brodelte es in mir, jahrelang, manchmal verdeckt durch andere Dinge. Aber es brodelte! Den letzten Anstoß, der den Stein dann endgültig ins Rollen brachte, bekam ich dann von einem Facebook-Freund aus der Segler-Gemeinde.
Manfreds Regalanlage aus dem hohen Norden - Wasser und Eisenbahn
Manfred, Skipper der Rüm Hart, offenbarte damit ein zweites Leben neben dem Boot. Dieser Bericht elektrisierte mich! Und ich stellte anschließend fest, dass Manfred nicht der einzige Skipper mit Seitensprung ist - da gibt es ja auch viele Synergien und Parallelen. Allein die große Erfahrung von Skippern im Bereich Elektrik und Elektronik, beim Verkleben von exotischen Materialien an hochsensiblen Stellen im Boot, beim Arbeiten in hautengen Räumen, in die sonst nur Typen mit der Lizenz zum Schlangenmenschen vordringen können - das alles ist ein Fundus, von dem auch der Modellbahner profitieren kann.
So schön hat Manfred beide Leidenschaften kombiniert - viele Skipper modellbahnern im Winter...
Vor allem aber ist es die tief sitzende Gewissheit, dass man (fast) alle Probleme lösen kann, einfach weil man sie lösen muss - einen Hilfsdienst wie auf der Straße gibt es auf dem Wasser nämlich nicht. Also man findet und repariert den Fehler oder man hat die sprichwörtliche Arschkarte! Skipper werden an Bord nicht ohne Grund als "Master next God" bezeichnet - und zu Recht bewundert. Die können das! Und wenn´s drauf ankommt, können sie sogar noch mehr als das! Eine Eigenschaft, die unbedingt auch auf der Modellbahn hilft, wenn die Lok mal wieder bockt...
Die Domain www.timmerbruch.de ist Teil der Domain www.czierpka.de und es gelten die im Impressum und in der Erklärung zum Datenschutz aufgeführten Grundsätze und Einschränkungen!