Kompromiss und Illusion - Bahn first
Nach 35 Jahren aktiver Kommunalpolitik, davon 26 Jahre als Bezirksbürgermeister mit oder gegen unterschiedliche Mehrheiten, gehören Kompromisse wie selbstverständlich zu meinem Leben. Viele Menschen verstehen ja nicht, warum in der Politik nicht immer das gemacht werden kann, was vorher als Ziel vertreten wurde - O-Ton: "versprochen wurde aber doch...". Daher rate ich jeder und jedem, sich politisch zu engagieren und nicht nur zu meckern, bildet ungemein, hilft enorm bei der Meinungsbildung und plötzlich versteht man/frau die Welt. Und es ist das beste Rezept, um Betonköpfe und vernagelte Typen zu verhindern. Und genau wie in der Politik...
Letzte Sitzung 2020 - wg. Corona Open Air - der Start ins Modellbahnerleben
...sind auch bei der Modellbahn Kompromisse unumgänglich, sie lebt förmlich davon. Eine grundlegende Entscheidung ist die Frage, welchen Stellenwert das Drumherum hat. Soll es das überhaupt geben oder ist nicht eine möglichst minimalistische Andeutung der Umgebung viel sinnvoller? Die Erbauer der Anlage unten beneide ich, wenn es um das Säubern der Gleise geht oder um das Eingleisen verunfallter Züge. Hier stören weder Straßenlaternen noch Bäume oder anderer Krimskrams die zur Hilfe eilenden Hände. Der reine Fahrbetrieb steht im Vordergrund und wird nicht durch Tunnel, Gebäude und unnötigen Zierrat behindert. Freie Fahrt und Fahrspaß ohne Grenzen und überflüssiges Bimbamborium...
Das andere Extrem sind Modellbahnen in Dioramen-Qualität - Anlagen, bei denen man auch als ausgefuchster Betrachter ins Grübeln kommt - siehe unten. Da stimmt einfach alles. Und oft sind sogar die Innenräume...
Mit freundlicher Genehmigung von Polska Makieta Modulowa H0 - Diorama von Ateliers Centraux,
...in einer unerhörten Qualität und Detailtiefe äußerst liebevoll gestaltet - man kann sich an den Einzelheiten kaum satt sehen. Hier der Umkleideraum inkl. WC und Pin-Up-Fotos im Spind von meinem ungarischen Kollegen Lajos Péter Bulkai - seine Arbeiten wirst Du bei den Menschen aus Timmerbruch auch noch bewundern können. Hier sieht man sehr gut, wie die Schatten-Bemalung selbst den großen Körperflächen gestandener Männer Leben einhauchen kann.
Das ist wahre Meisterschaft eines wirklichen Könners - Chapeau!
Für mich sind Modellbahner die größten praktizierenden Illusionisten ihrer Zeit - und eine Illusion lebt immer vom Kompromiss! Kernfrage: Welche Aufgabe hat die Landschaft auf meiner Modellbahn? Die Antwort ist einfach: sie soll mir die Illusion verschaffen, die Züge würden sich in einem halbwegs natürlichen Umfeld bewegen. Ob da ein Baum wie eine Eiche oder Linde oder einfach wie ein Baum aussieht, ist (mir) ziemlich egal. Es gibt einige Ausnahmen, so gehören an einen Bach keine großen Buchen, da sind Kopfweiden angesagt, aber sonst? Letztlich baue ich keinen Baumlehrpfad für angehende Dendrologen.
Schilf und Weiden an der Staude - dem Brezelkäfer täte ein Nummernschild gut
Und TADAAA - da ist es auch schon, das Nummernschild am Brezelkäfer! Dieser winzig kleine Unterschied hat dazu geführt, dass ich an mehreren Stellen die Autos mit Nummernschildern ausgestattet habe. Eigentlich geht das für meinen Geschmack ein bisschen zu viel ins Detail, aber manchmal machen es einfach diese Kleinigkeiten!
So hat auch unser guter alter Opel seine Originalnummer bekommen: DO-P 387 - war mir nach fast 70 Jahren immer noch im Kopf. Unser Gehirn ist schon ein seltsames Organ, man vergisst das zugesagte Ausräumen der Spülmaschine, aber so eine olle Autonummer bleibt über Jahrzehnte gespeichert. Am realen Hahnenmühenweg meiner Kindheit ging´s runter in Richtung Ablaufberg Dortmunderfeld. In Timmerbruch kommt man über diese Straße zum Bw. Aber wie gesagt: unser Gehirn verzeiht es auch, wenn manche Dinge fehlen, also man muss nicht immer soo tief ins Detail gehen wie hier mit den Nummernschildern. Das Gehirn "denkt sich seinen Teil".
Diesen Grundsatz beherzige ich auch bei allen anderen Fragen zur Detailtiefe. Ich bewundere das, was andere so alles zaubern, aber ich will kein Diorama bauen, dass man stundenlang anschauen kann, ich will eine glaubhafte Landschaft als Umfeld für meine Bahn. Nicht mehr, aber auch nicht weniger! Auf Fotos fallen daher manche Dinge auf, die man feiner, genauer, detailreicher, auf jeden Fall anders (besser) hätte machen können. Auch stehen Straßenlaternen oder Bäume nicht immer da, wo sie eigentlich stehen sollten oder besser: wo sie in der realen Welt stehen würden. Ich will mir ja nicht den Blick auf den fahrenden Zug verstellen. Und auch nicht die Zugriffsmöglichkeiten für den Fall, dass mal eine Lok bockt. Zudem muss ich im Bahnhof beim Rangieren entkuppeln können, da sollte also im Vordergrund nichts stehen, was diesen Zugriff auf das rollende Material verhindert oder auch nur erschwert. Manchmal wäre ein großer Baum im Vordergrund optisch ein echtes Plus, er würde mehr Tiefe suggerieren, aber eben stören. Alles ein Kompromiss.
B1 Richtung Jepperode, Abzweig zum Hafen - nichtstörende Bäume vor der Hintergrundkulisse
Verfolgt man einen Zug mit den Augen, muss ihn vielleicht sogar selbst fahren, die Pfeife vor einem unbeschrankten Bahnübergang bedienen, Weichen und Signale für die Fahrstraße stellen, den morgendlichen PmG so am Bahnsteig zum Halten bringen, dass die Milchkannen in den anhängenden Güterwagen geladen werden können - dann hat man für solche Feinheiten ohnehin kein Auge, da zählt allein die Illusion, dass der Zug durch eine kleine Welt fährt. Aber natürlich soll es natürlich aussehen, ich muss es in Ordnung finden und darum gebe ich mir schon etwas Mühe. Nichts ist schlimmer als immer und immer wieder zu denken "Mensch, das sieht aber blöd aus" - faule Kompromisse neigen dazu, weiterzufaulen.
Inneneinrichtungen gibt´s auch bei mir - manchmal reitet mich eben der Wahnsinn...
Das gilt auch für die Autos, die Figuren, den Bewuchs, die Felsen. Felsen? Ohne die geht´s ja nicht, denn wenn man einen geschickt gefalteten Gleisplan so tarnen will, dass enge Radien nicht jede Illusion eines eleganten Zuglaufes schon im Ansatz zerstören, dann sind Tunnel und damit Berge und steile Böschungen sowie Felsen und Stützmauern nötig. Nicht ohne Grund sind die meisten Modellbahnanlagen im Mittelgebirgsraum angesiedelt, ein bewegtes Gelände ist nötig, um Tunnel halbwegs zwingend erscheinen zu lassen.
Die V36 kommt mit einer Übergabe aus dem Felsenkeller
Die Stützmauern, Überwerfungen und Tunnelportale habe ich selbst gegossen und angepasst, im Bautagebuch auf den Seiten 16 und 18 zeige ich das ausführlich. Vor den Felsen hatte ich anfangs echt Bammel. Wie sollte ich die hinbekommen, wie sollte ich die "natürlich" gestalten und dann auch noch "natürlich" bemalen? Zumal einige Kollegen es mit Gesteinsformationen und -farben sowie den geologischen Begründungen für die eine oder andere Gesteinsart wirklich genau nehmen, da sind also große Fußstapfen zu füllen. Aber auch hier sage ich mir (und Dir): ich baue keine Gesteins-Arten-Übersicht für ein geologisches Proseminar, bei mir muss das nach Fels aussehen - fertig.
Überwerfungen - bei uns im Ruhrgebiet keine Seltenheit
Bei den Bäumen ist das ähnlich: man kann fantastische Bäume aus Handarbeit kaufen, so ab 50€ pro Stück auf der nach oben offenen Preisskala. Da gibt es wirklich hervorragende Nachbildungen von Linden, Apfelbäumen (mit Äpfeln, grün oder rot), Bäumen im Frühjahr, Sommer oder Herbst oder unbelaubt für Winteranlagen. Klar kann man solche Super-Gewächse prima selbst bauen, aber der Zeitaufwand ist enorm. Für die mehr als 250 Bäume* auf meiner Anlage aber kam beides nicht in Frage, hier waren eben so viele "Bäume" erforderlich, dass sich beide Optionen erledigten. Daher gibt es leicht veränderte Bäume aus Großsortimenten (Tannen & Co) sowie selbstgebaute "baumähnliche Konstrukte". Nur an wenigen Stellen - etwa Kopfweiden am lieblichen Ufer der leise dahinplätschernden Staude - bin ich auf gewerblich hergestellte Gewächse ausgewichen. Da schien mir die Herstellung in Eigenregie doch zu zeitaufwändig und ich habe mir Zeit gekauft.
*Ich habe nachgezählt, es sind tatsächlich 255 Stück, und zwar nur die echten Bäume. Dazu kommen die "unechten", einfach zwischen die Baumkronen gestecktes Islandmoos, das das Vorhandensein weiterer Laub-Bäume suggerieren und so einen dichten Wald vortäuschen soll.
Eiche, Buche oder was? Es sind Bäume, "Baumschule" im Keller
Viele Gebäude sind nur als zweidimensionale Bauten auf der Bahn, niemand sieht, dass sie keine Rückfront haben, erst bei genauem Hinsehen wird klar, dass das Dach an der Hintergrundkulisse endet. Der Platz ist einfach endlich, auf jeden Fall zu schade, um ihn durch Häuser zu vergeuden. Es ist eine Modellbahn, keine Modellstadt.
Lagerhalle von Getränke Reichlich - nur 2-D
Mein Prinzip ist also: Schienen, Weichen, Fahrmöglichkeiten first - alles andere hat sich dem unterzuordnen. Aus Platzgründen, aus Zeitgründen, aus finanziellen Gründen. Und weil man so manchen Aufwand beim Spielen einfach optisch gar nicht wahr nimmt. Trotzdem gibt es natürlich Stellen, wo ich aus Lust und Laune etwas mehr Detailtiefe zugelassen und mich ausgetobt habe.
Blick in die große Halle von "Getränke Reichlich" - der "ganzen Welt des Bieres"...
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